Microlearning

Warum Microlearning nicht funktioniert und warum wir es trotzdem brauchen.

Vom Micro Learning über Nano Learning bis hin zu Nichts gelernt

In den letzten zehn Jahren ist der Begriff „Microlearning“ so allgegenwärtig geworden, dass sich kaum noch jemand traut, ihn in Frage zu stellen. Es scheint offensichtlich, dass moderne Anbieter von Lerninhalten keine Wahl haben, als dem Trend zu folgen, denn moderne Lernende können sich nur wenige Minuten pro Tag für ihre Weiterentwicklung Zeit nehmen. Und alle scheinen zu glauben, dass dies der richtige Weg ist.

Ich habe es ausprobiert. Eine Sprachen-App (vielleicht die falsche) benutzt, um mein Schulfranzösisch aufzubessern und mit Italienisch anzufangen. Nach etwa einem Jahr mit 5-10 Minuten täglichem Lernen von Französisch und Italienisch (und dem Erreichen eines recht fortgeschrittenen Levels in der App) finde ich die Ergebnisse enttäuschend. Vielleicht bin ich die falsche Person dafür. Kann ich jetzt fließend sprechen? Nein. Haben sich meine Verständnisfähigkeiten verbessert? Kaum. Welch ein Unterschied, als ich nur zwei Tage einer französischen Geschäftsumgebung in Paris ausgesetzt war!

Ich habe Hunderte TED-Talks gesehen, Tonnen kleiner Artikel und Blogs gelesen und stundenlange Podcasts gehört. Sie sind alle großartig, einfach zu konsumieren, inspirierend und motivierend. Und um Missverständnisse zu vermeiden: Ich mag diese Formate und werde sie weiterhin nutzen. Aber ich frage mich: Hat mir das wirklich geholfen, meine Fähigkeiten substanziell zu verbessern? Bin ich ein besserer Verhandlungsführer geworden? Kann ich in entscheidenden Gesprächen, wenn viel auf dem Spiel steht, besser die Ruhe bewahren als zuvor?

Ehrlich gesagt, ich bezweifle es. Und noch schlimmer: Ich kann mich vielleicht gerade mal an 10% oder sogar weniger von all den Dingen erinnern, die ich gesehen, gelesen und gehört habe. Ebbinghaus lässt grüßen.

Jetzt, wo ich darüber nachdenke, ist es offensichtlich. Etwas Neues zu lernen braucht einfach Zeit und Mühe. Ob ich Künstler oder Arzt werden will, ob ich Tennis oder Klavier spielen lernen möchte – echte Meisterschaft zu erreichen, braucht die berühmten 10.000 Stunden oder mehr an Übung und Lernen. Man wird kein großartiger Redner, nur weil man sich großartige TED-Talks ansieht. Dasselbe gilt für jede andere Fähigkeit, besonders für Führungsqualitäten.

Bedeutet das jetzt, dass ich gegen Microlearning bin? Die Antwort ist: Nein.

Ich denke, es ist eine gute Ergänzung zum harten, fokussierten Lernen. Meiner Meinung nach hat Microlearning drei Zwecke:

  1. Es öffnet die Tür. Jedes neue Thema, das ich ernst nehmen möchte, erscheint wie ein riesiger Berg, ein großer Klotz, der mir so viel Ehrfurcht einflößt, dass ich vielleicht gar nicht erst anzufangen wage. Microlearning kann dabei helfen, die ersten Schritte zu machen; Einmal angefangen, werde ich schließlich den Wunsch verspüren, weiter zu gehen und wirklich in das Thema einzutauchen.
  2. Es hilft dabei, Gelerntes zu festigen und zu konsolidieren. Sobald ich ein gewisses Kompetenzniveau erreicht habe, kann ich viel weniger Zeit aufwenden, um dieses Niveau zu halten, verglichen mit der Mühe, die ich aufbringen musste, um dorthin zu kommen. Und schließlich
  3. erinnert es mich daran, alles so einfach wie möglich zu halten. Das ist das Gegenteil von dem, was Intellektuelle zu tun tendieren, wenn sie in komplizierten Sätzen sprechen, um das Publikum zu beeindrucken und sich selbst für ihre Brillanz zu feiern. Für Lehrende und Inhaltsproduzenten ist der ständige Fokus auf die wahre Essenz eines jeden Themas ein wahrer Service für den Lernenden. Vereinfachung ist ein Muss. Aber Übervereinfachung ist ein No-Go. Um Albert Einstein zu paraphrasieren: „Man sollte die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher.“

Klug angewandt, ist Microlearning sicherlich sehr wertvoll. Aber wenn es dazu verwendet wird, sich die Mühe des harten Lernens und Übens zu ersparen, als Abkürzung zur Meisterschaft, dann ist es nicht nur das falsche Werkzeug, sondern kann sogar gefährlich sein. Es gibt bereits genug Hochstapler mit riskantem Halbwissen, die in ihren sozialen Echokammern von Gleichgesinnten wie Experten gefeiert werden. Und letztendlich werden die wahren Experten dann nicht mehr gehört.

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